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Montag, 27. April 2015

Gallipoli

Am vergangenen Wochenende wurden rund um den Globus Gedenkfeiern für die Gefallenen der Schlacht bei Gallipoli abgehalten. In Australien und Neuseeland ist der ANZAC–Day (25. April) sogar ein nationaler Gedenktag. Am 25. April 1915 begann mit der Landung von Bodentruppen auf der Halbinsel Gallipoli ein weiteres tragisches und besonders blutiges Kapitel des Ersten Weltkriegs. Die Kämpfe bei den Dardanellen werden auch in Band 2 im Hintergrund eine Rolle spielen, deshalb eine kurze Zusammenfassung.

Wie kam es dazu, dass man auf einmal im Mittelmeer einen weiteren Kriegsschauplatz eröffnete? Die Situation an der Westfront war hoffnungslos festgefahren, deshalb kam die Idee auf, durch einen Schlag gegen das mit den Mittelmächten verbündete Osmanische Reich die Flanke der Mittelmächte zu schwächen. Damit könnte das zu diesem Zeitpunkt im Kaukasus schwer von türkischen Truppen bedrängte Russland entlastet werden. Gleichzeitig würde eine erfolgreiche Kampagne bei den Dardanellen das Schwarze Meer für russische Getreideexporte öffnen und langfristig Ägypten und den Suezkanal (eine der Hauptschlagadern des Empire) sichern. Als zusätzlichen Bonus hoffte man auf einen Kriegseintritt der bisher neutralen Staaten Griechenland, Rumänien und Bulgarien auf Seite der Entente. (Es bestand zudem die Möglichkeit, dass eine erfolgreiche Kampagne zum endgültigen Kollaps des Osmanische Reiches führen könnte.)

Die in Frankreich nach kurzer Diskussion verworfene Idee wurde in Grossbritannien aufgegriffen. Der Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, entwickelte den endgültigen Plan für den er sich gegen einigen Widerstand einsetzte: Ein Flottenverband der Entente würde die türkischen Festungen entlang der Dardanellen ausschalten, dann Konstantinopel belagern. Landungstruppen sollten vorbereitend zusammengezogen werden. Ihr endgültiger Einsatz wurde vom Erfolg der Flotte bei der Einnahme der Dardanellen und des Hafens von Konstantinopel abhängig gemacht – das zumindest war der Plan.
Die Dardanellen-Flotte. Schweizer Illustrierte Zeitung Heft 10 (6. März)/1915 

Die Kampagne startete mit einer Seeattacke am 19. Februar 1915 – britische und französische Schiffe beschossen die türkischen Forts entlang der Dardanellen. Anfängliche Erfolge liessen kurz auf das Gelingen des Plans hoffen, doch der endgültige Durchbruch blieb über die nächsten Wochen aus; der Flotte gelang es nicht, die türkischen Forts auszuschalten. Eine zweite, massive Attacke startete am 18. März; die Dardanellen waren noch nie von einer so mächtigen Flotte angegriffen worden: 16 Schlachtschiffe begleitet von Minensuchern, Kreuzern und Zerstörern erkämpften sich ihren Weg durch Meerenege – bis sie in ein unentdecktes Minenfeld gerieten. Zwei britische und ein französisches Schlachtschiff wurden versenkt und zahlreiche weiter Schiffe stark beschädigt, schliesslich fiel ein Drittel der Flotte aus. An einen endgültigen Durchbruch war danach nicht mehr zu denken.

Es fiel der  Entschluss, die Seeattacken abzubrechen; der ursprüngliche Plan wurde dahingehend geändert, dass man nun mit Hilfe von Landungstruppen die Forts entlang der Dardanellen einnehmen wollte. Als Brückenkopf für die Landung wurde die Halbinsel Gallipoli ausgesucht.

Schweizer Illustrierte Zeitung Heft 11 (13. März)/1915
Man beachte die eingezeichneten See-Minen-Linien, wahrscheinlich ist der Grafiker hier der simplen Logik gefolgt, dass die engsten Stellen wohl am ehesten vermint sein müssten. Insgesamt waren zehn Minenfelder mit über 300 Minen verlegt worden. Das Minenfeld, das der Flotte am 18. März zum Verhängnis werden sollte, war erst am 7. März während der Nacht verlegt worden. Der kurze Begleittext zu diesem Bild berichtet von dem Zusammenzug der erweiterten Dardanellen-Flotte und schliesst bezeichnenderweise mit folgendem Satz: "Entscheidende Fortschritte sind indes erst nach der Landung grösserer Truppenmassen zu erwarten."
Innerhalb eines Monats wurde die grösste amphibische Operation in der Geschichte (bis zur Landung in der Normandie) vorbereitet. Die für die Invasion zusammengezogenen Kräfte umfassten 200 Transportschiffe, 18 Schlachtschiffe, 29 Zerstörer, 12 Kreuzer und 8 U-Boote. 27'000 britische (inkl. Commonwealth), 16'000 französische und 30'000 australische und neuseeländische Soldaten (das sogenannte ANZAC Kontingent) sollten an verschiedenen Landungspunkten abgesetzt werden. Die französischen Truppen hatten den Auftrag, bei Koum Kaleh ein Ablenkungsmanöver zu starten, die britischen Truppen wurden an verschiedenen Punkten entlang des Kap Hellé abgesetzt und die ANZAC Truppen nördlich des Kaps in der Bucht bei Gaba Tepe (in der Darstellung oben gegenüber Maitos am linken Bildran).

Die am 25. April 1915 erfolgte Landung war ein Desaster, die britischen und französischen Truppen kamen nicht über ihre Landungspunkte hinaus. Lediglich die ANZAC Truppen schienen für eine Weile erfolgreich, aber auch sie wurden schliesslich an den Strand zurückgedrängt. Über die nächsten Tage kam es immer wieder zu erfolglosen Versuchen, die türkischen Stellungen einzunehmen. Anfangs Mai hatte sich auf Gallipoli ein weiterer Stellungskrieg entwickelt. 

Das katastrophale Scheitern der Landung wurde später auf mehrere Faktoren zurückgeführt: Innerhalb der kurzen Vorbereitungsphase war notgedrungen viel improvisiert worde. Als besonders verhängnisvoll erwies sich der Mangel an konkretem Wissen über die Stärke der türkischen Stellungen und die Geländebeschaffenheit. Zudem waren die türkischen Forts seit den Flottenangriffen der Entente zusätzlich verstärkt worden, das Element der Überraschung war selbstverständlich nicht mehr vorhanden. Die Grafik aus der Schweizer Illustrierten vom März 1915 zeigt deutlich, wie sehr die Topographie gegen die Landungstruppen war. Das Gelände ist unglaublich steil, dazu kamen unerfahrene Offiziere, fehlerhaftes Kartenmaterial und eine unzureichende Bestückung mit Mörsern und Granaten. Eine erfolgreiche Landung hätte höchstens mit sehr viel mehr Truppen und Material und strategisch besser ausgewählte Landungspunkten (auch auf der asiatischen Seite der Dardanellen) durchgeführt werden können (und sogar darüber streiten Militärhistoriker bis heute).

Der Sommer 1915 war extrem heiss und auf einen kurzen Herbst folgte ein früher Winter samt Winterstürmen. Tausende liessen während Monaten an den Stränden unter unsäglichen Bedingungen ihr Leben - Typhus und Dysenterie wüteten unter den Soldaten (nur 30% Prozent der britischen Gefallenen fanden den Tod in der Schlacht). Anfangs Dezember 1915 beschloss das britische Kabinett endlich den Rückzug. Die Evakuierung der Truppen war um einiges besser organisiert als die Landung und gilt bis heute als exemplarisch. Anfangs 1916 verliessen die letzten Truppen Gallipoli.

Bei der Zahl der Gefallenen und Verwundeten findet man derart stark voneinander abweichendes Zahlenmaterial, dass ich hier auf eine genaue Auflistung verzichte. Die gesamt Verlustzahl beider Seiten (Verwundete, Gefallene und Vermisste) übersteigt auf jeden Fall 350'000 Mann  – die Zahl der Toten liegt über bei 100'000.

Gallipoli stärkte das osmanische Selbstbewusstsein und führte zumindest kurzfristig zu weiteren militärischen Erfolgen. Auf der alliierten Seite schwächte das Desaster die Position der Entente in ihren Verhandlungen mit Rumänien, Griechenland und Bulgarien, die ersten beiden blieben weiterhin neutral – Bulgarien ging im Herbst 1915 ein Bündnis mit den Mittelmächten ein. Die missglückte Landung beendete (bzw. unterbrach) zudem militärische und politische Karrieren; Winston Churchill musste von seinem Amt als Erster Lord der Admiralität zurücktreten. Langfristig wurde die missglückte Invasion zu einem Lehrstück, das bei der Planung der Landung in der Normandie eine wichtige Rolle spielen sollte. Vor allem aber gilt die Schlacht als bedeutender Moment in der Bildung einer nationalen Identität für die moderne Türkei, Australien und Neuseeland.

John Keegan: The First World War, S. 253-269 / How the most daring Plan of WWI turned into a Military Disaster / Wikipedia in dt. und engl.

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