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Sonntag, 13. Juli 2014

Die Julikrise I

Schweizer Illustrierte Zeitung, Heft 28, 11. Juli 1914

Die zwischen dem Attentat vom 28. Juni und der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli liegende Zeitspanne wird in der Forschung als Julikrise bezeichnet. Die vier Wochen, in denen Europa langsam in die Krise rutschte, werden in der Forschung immer wieder aufgearbeitet und analysiert, und wie die Kontroversen um Clarkes The Sleepwalkers zeigen, gibt es immer noch offene bzw. umstrittene Fragen.

Der unten stehende Artikel stammt aus der Schweizer Illustrierten Zeitung vom 11. Juli. Er beruht  auf Informationen, die aus den Verhören der Attentäter durchsickerten. Etwas forsch wird behauptet, dass mit Sicherheit bewiesen sei, dass ein hoher serbischer Offizer, der Stellvertreter des Generalstabes, die beiden Attentäter an einen serbischen Eisenbahnbeamten gewiesen hat und dass dieser die Bomben und sechs Browning-Pistolen durch einen Komitatschi nach Serajewo (sic) bringen liess.

Die Abläufe waren komplizierter, wie aus den Rekonstruktionen der Geschehnisse hervorgeht.* Die Attentäter hatten Verbindungen zur Narodna Odbrana und zur Schwarzen Hand. Beide nationalistischen Organisationen kämpften für ein Grossserbien, die Schwarze Hand war vor allem im serbischen Offizierskorps vertreten. Seit der Besetzung Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn 1908 agierten diese Geheimorganisationen im Grenzgebiet und bildeten Freiheitskämpfer/Terroristen aus (die im Artikel erwahnten Komitatschi).

Der hohe serbische Offizier war wohl Major Popowitch, der auf Befehl von Major Tankositch gehandelt haben dürfte. Tankositch mischte in beiden Organisationen mit und war enger Vertrauter von Dragutin Dimitrijevic, dem Anführer der Schwarzen Hand und Chef des Geheimdienstes der serbischen Armee. Da in der Schwarzen Hand strengste Geheimhaltung gepflegt wurde, gibt es für diese Befehlskette keine schlüssigen Beweise.

Die Schwarzen Hand hatte das Grenzkorps unterlaufen und konnte auch auf viele zivile Helfer zurückgreifen. Es waren wahrscheinlich vor allem Zollbeamte (und zivile Helfer) am Schmuggel der Attentäter über die Grenze beteiligt, denn es gab ein weitreichendes  Untergrundnetzwerk zum Schmuggel von Waffen und Menschen.

Immer noch heftig umstritten ist die Frage, ob die serbische Regierung von den Attentatsplänen Kenntnis hatte und wenn ja, wie detailliert man informiert war. Es spricht viel dafür, dass der serbische Premierminister Pasic von den Attentatsplänen wusste und die Beamten des Grenzgebietes aufforderte, Aktionen der Schwarzen Hand zu verhindern. Dies scheiterte aber am passiven und aktiven Widerstand der betroffenen Offiziere und Beamten. Es gibt auch Hinweise, dass Pasic über (zu viele) Umwege versucht hatte, Österreich-Ungarn zu warnen.

In Belgrad dagegen hat man keine Interesse, die geheimen Fäden der Verschwörung aufzudecken. Darüber regt man sich in Wien und den anderen Grosstädten der österreichisch-ungarischen Monarchie gewaltig auf u. es kommt auch hier zu zahlreichen Demonstrationen gegen Serbien.

Für Belgrads zögerliche Reaktion (auch diese Einschätzung ist umstritten) bei der Aufklärung des Attentats lassen sich zwei Erklärungen finden: Man wollte entweder die eigene Verstrickung nicht eingestehen oder nicht zugeben, dass man über eine Organisation wie die Schwarze Hand keine Kontrolle hatte.

Leider überhaupt nicht umstritten ist, dass der Verfasser dieses Artikels mit seinem letzten Satz Recht behalten sollte.

So wird man jedenfalls noch durch geraume Zeit unter dem Eindruck der Katastrophe von Serajewo stehen, und eine gewaltsame Lösung dieser Krisis bleibt immer noch wahrscheinlich.

Schweizerische Illustrierte Zeitung, Heft 28, 11. Juli 1914
* Christopher Clarke: The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914, S. 47 ff. und  Sean McMeekin: July 1914. Countdown to War, S. 7 ff.



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