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Sonntag, 21. Dezember 2014

Heian Hofdamen – Sei Shonagon (ca. 966 - ca. 1025), Meisterin der Listen


Utawaga Yoshitora: Sei Shonagon betrachtet den Schnee (1872)**
via Museum of Fina Arts Boston (mfa)

Cineasten ist diese Dame dank Peter Greenaways Film Die Bettlektüre (Pillow Book) bekannt, darin werden zahlreiche Passagen aus Sei Shonagons Kopfkissenbuch – eine Art Tagebuch in Form von Listen und kurzen Essays, manche nennen es auch das erste Blog – zitiert. Sei Shonagons Kopfkissenbuch ist ein Klassiker der japanischen Literatur, nicht nur wegen der Einblicke in die Kultur und den Alltag des Heian-Hofes, sondern auch wegen Sei Shonagons Fähigkeit, gleichermassen tief berührende Einsichten, schneidend scharfe Beobachtungen menschlicher Schwäche und spielerisch Alltägliches einzufangen.

Sei Shonagon war die Tochter eines berühmten Waka Dichters,* sie erhielt eine ausgezeichnete literarische Erziehung und war auch des Chinesischen mächtig. Mit Mitte 20 kam sie an den Hof der zehn Jahre jüngeren Kaiserin Teishi. Die Beziehung zwischen der jungen Kaiserin und der bereits zwei Mal verheirateten Hofdame war sehr intensiv. Am Hofe wurde Sei Shonagon wegen ihrer Bildung und ihres dichterischen Könnens bewundert (sie soll keine Schönheit gewesen sein), aber sie war auch wegen ihrer Scharfzüngigkeit gefürchtet. Man findet im Kopfkissenbuch Beispiele ihrer schonungslosen Ausdrucksweise; es fällt deshalb nicht schwer, sich vorzustellen, dass dieser Favoritin der Kaiserin vom Rest des Hofes mit gemischten Gefühlen begegnet wurde.

Die Texte im Kopfkissenbuch umfassen Anekdoten aus dem Hofleben (und sind damit wertvolle mentalitätsgeschichtliche Quelle), Gedichte, amüsante Beobachtungen menschlichen Verhaltens und kurze Erzählungen. Am liebsten sind mir die Listen, in denen Sei Shonagon Einträge zusammenfügt, welche in ihrer exotischen Heterogenität die in abendländischer Taxonomie geschulte Leserin oftmals verblüffen z. B. Was wunderbar ist Was einen erfrischenden Anblick bietetWas sich nicht wiedergutmachen lässt. Solche Listen finden sich auch in den Werken anderer Hofdamen, doch Shonagon scheint dieses Format besonders geliebt zu haben. (Christian hat wahrscheinlich an sie gedacht, als er Annas eigenartige Liste in Händen hielt.)

Die Schönheit dieser Listen liegt nicht nur in ihrer Fremdheit, sondern auch in der lakonischen Art und Weise, in der Sei Shonagon auf den Punkt kommt. Wenige Beispiele zeigen bereits, wie geistreich, scharfzüngig und manchmal auch melancholisch Sei Shonagons Stil ist.

Unangenehme Dinge
Ein Hund, der den Geliebten, welcher sich heimlich zu einem schleichen will, stellt und bellt. Man möchte ihn am liebsten gleich totschlagen! (…)
Man hat die Dummheit begangen und einen Mann heimlich bei sich nächtigen lassen, und fängt er an zu schnarchen. Wie unangenehm ist das!

Was glücklich macht
Viele Romanbücher zu haben, die ich noch nicht gelesen habe. (…)
Nach nicht sehr langem Suchen findet man das Gesuchte und ist glücklich. (…)
Ich freue mich besonders, wenn ich einen hochmütigen Menschen kurz abfertigen kann. Meine Freude ist riesengross, wenn es sich dabei um einen Mann handelt.

Seltene Dinge
Ein Bräutigam, den der Schwiegervater gern sieht.
Eine Braut, die der Schwiegermutter gefällt.
Ein Gefolgsmann, der niemals seinen Herrn verleumdet.
(…)

Hübsche Dinge
Das Gesicht eines Kindes, das seine Zähne in eine Melone gräbt. (…)
In der Nacht, wenn man jemanden erwartet, dem fallenden Regen lauschen und dem Nachtwind, der am Hause rüttelt. O wie beginnt unser Herz da plötzlich zu klopfen! (…)

Was fern, doch nahe ist
Das Paradies.
Der Abstand zwischen Mann und Frau.

Das Kopfkissenbuch kenne ich in zwei deutschen Übersetzungen, eine aus der Insel Bücherei von 1975 (beruhend auf einer Übertragung aus dem Jahr 1944), die andere aus dem Hause Manesse von 1952. Beide Ausgaben präsentieren eine Auswahl von Texten, die Manesse-Ausgabe ist etwas umfangreicher. Die ersten zwei drei zitierten Beispiele stammen aus der Insel-Übersetzung, die letzten beiden aus der Manesse-Übersetzung. Vergleicht man beide Ausgaben, so sind sie sich bei manchen Texten sehr ähnlich, bei anderen wiederum fragt man sich, ob beide auf dem gleichen Ausgangstext beruhen. Die Manesse-Übersetzung ist mit Anmerkungen versehen, aber sprachlich gefällt mir die Insel-Übersetzung besser. Auf Englisch sind mehrere komplette Übersetzungen samt Anmerkungen erhältlich.

* Der Begriff Waka stammt ebenfalls aus der Heian-Zeit und bezeichnet Gedichte in japanischer Sprache – Kanshi bezeichnet Gedichte in chinesischer Sprache. Die Entwicklung eigener japanischer Poesieformen ist ein Zeichen der Ablösung des grossen Einflusses, den die chinesische Kultur lange auf Japan ausübte. Waka-Poesie existiert in vielen Stilen, die im Westen wohl am besten bekannte Waka-Form ist der Haiku. In der Waka-Poesie gibt es keinen Reim und keine Zeileneinteilung.



** Die Darstellung aus dem 19. Jahrhundert zeigt die Dame Shonagon in der Mode des Heian-Hofes: mit offenem Haar und Hofkleidund, die aus bis zu 12 übereinander getragenenen Gewändern bestehen konnte. Die Dame hebt eines der Rolleaus an, die die Gemächer der Kaiserin und ihrer Hofdamen von der Aussenwelt trennen. Diese Rolleaus tauchen in Shonagons Kopfkissenbuch immer wieder auf und spielen natürlich auch eine Schlüsselrolle im Liebesleben der Hofdamen.

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