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Sonntag, 14. Juli 2013

Prinzen und Prinzessinnen auf der Fensterbank – eine Sommergeschichte

26. Juni: Schon den ganzen Sommer über wundere ich mich über ein Bündel trockenes Gras in einem der Geranienkästen im ersten Stock.  Heu, das der Föhn hier zwischengelagert hat? Alpines Tumbleweed? Bei jedem Giessen denke ich, das sollte ich mal ausräumen. Gemacht habe ich es natürlich nicht. Und das war gut so, denn auf einmal sitzt da jemand in diesem Grasbüschel. Jemand der empört wegflattert, als ich mit der Giesskanne zu nahe komme und mich ganz schön erschreckt... Zurück bleibt ein Gelege mit fünf Eiern.


Und schon beginnen die Sorgen... Was mache ich nun, wenn ich die Geranien wässern soll? Blumen oder Vöglein? Wer hat mehr Recht zu leben: Flora oder Fauna?

Als das empörte Elternteil zurückkehrt, kann die ornithologische Zuordnung erfolgen. Es handelt sich um ein Bachstelzen-Gelege, Brutzeit 11 bis 17 Tage. Schon kommt das nächste ethische Dilemma, denn Bachstelzen sind Kuckuckswirte. Will heissen, das Kuckucksweibchen legt ein Ei ins Gelege und verschwindet wieder. Der (nicht so) kleine Kuckuck schlüpft meist etwas früher als seine Ziehgeschwister und rollt bzw. drängt sie dann aus dem Nest. Was mache ich denn nun, wenn eines der Eier etwas grösser ist? Schon sind wir bei Star Trek: "The needs of the many outweigh the needs of the one" - aber der Kuckuck will ja auch leben! Bevor ich  "Handaufzucht Kuckuck" google, warte ich eine Wachablösung ab, als weder Mama noch Papa im Nest sind gucke ich nochmals ganz genau hin und stelle erleichtert fes: alle Eier sind identisch. Und dass das Nest immer wieder mal verlassen wird, löst auch das Bewässerungsproblem, puh!

Aber an ein gutes Foto von Mama oder Papa ist vorläufig nicht zu denken. Das geht nur bei geschlossenem Fenster. Nach den einigen Versuchen stelle ich fest, dass die ersten Sommergewitter die im Frühling pflichtbewusst geputzten Fensterscheiben schon wieder ruiniert haben. Also muss ich zuerst einen günstigen Moment abwarten, um die Fenster zu putzen. Und dann beginnt ein Geduldspiel  ein Elternteil dreht sich beim Brüten komplett vom Fenster weg, zu sehen sind dann nur ein paar Schwanzfedern unter den Geranienblättern. Der andere Elternteil hingegen starrt immer ins Zimmer, eigentlich fotogen  nur geschicktes Anpirschen funktioniert da nicht (habe kein Superzoom). 

30. Juni: Endlich, eine vernünftige Pose, das Model ist nicht hypernervös und die Sonne sorgt für angemessene Beleuchtung...


Und weiter geht das Geduldspiel. Inzwischen habe ich eine Ahnung davon, wie sich die Fotografen vor dem Lindo Wing fühlen  nur dass ich nicht etliche tausend Pfund für das erste Bild des Nachwuchses hingeblättert kriege... Egal, ich nenne Mama und Papa Kate und Will und bin mir sicher, es ist Kate, die immer so aufmerksam ins Zimmer guckt und der Paparazza  das Leben schwer macht.

7. Juli: Schlupftermin, nach Fahrplan - meine ständigen Belästigungen waren also kein Stressfaktor, sonst hätte es erheblich länger gedauert. Zu sehen ist nicht viel, ausser dass da keine Eier mehr im Nest sind, sonst herrscht Dunkelheit. Und mit Blitz in die Kinderstube will ich nicht. Will und Kat räumen auf und verschwinden mit winzigen Schalenstückchen im Schnabel... Und beginnen dann einen hektischen Fütterungsflugplan, dank dem ich immer mal wieder einen Blick in die Kinderstube wagen kann. Irgendwann sind dann auch fünf winzige, gelbe Schnäbel zu erkennen. Alles gut gegangen...

11. Juli: Das erste halbwegs vernünftige Bild... zu sehen sind für einmal alle fünf. Von "süss" kann man eigentlich nocht nicht reden, vor allem nicht im Profil (3).  Auf den Köpfchen sind witzige Flaumbüschel auszumachen (2).



13. Juli: Mehr Federn, mehr Flaum, mehr Punk als Prunk: Mohawks und grimmige Gesichter... die Augen beginnen sich zu öffnen.



14. Juli: Punk lives on...


Bei genauem Hinsehen kann man erkennen, dass es sich um zweireihige Mohawks handelt und das ist dann irgendwie doch süss...



Muss der Versuchung widerstehen, mal mit einer Fingerspitze diesen Mohawk-Flaum zu berühren. Mama und Papa sind über die diversen FotoShootings eh nicht sonderlich erfreut. Wenn sie in der Nähe sind, dann zetern sie lauthals los. Aber das tun sie inzwischen schon aus Prinzip, kein Fenster darf offen stehen und vor dem Haus sollte sich gefälligst niemand aufhalten. Die ersten Flugstunden dürften unterhaltsam werden. Bis dahin dauert's wohl noch etwas. Zeit genug, mal "Jungvogel aus dem Nest gefallen" zu googeln.

Fortsetzung folgt...



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