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Montag, 8. Dezember 2014

Die perfekte Gouvernante


via Graphics Fairy
Der Tourismus und das Hotelwesen brauchten im 19. Jahrhundert Wohlstand und neue Berufsmöglichkeiten in die Alpen. Die Arbeit im Hotel ermöglichte es gerade auch jungen Frauen, sich eine berufliche Karriere vor oder sogar statt der Ehe zu sichern.  Für manche abenteuerlustige Frauen öffnete der Hoteldienst den Weg in die grosse weite Welt und zu Erlebnissen und Abenteuern, von denen ihre Mütter und Grossmütter nicht zu träumen gewagt hatten. Von solchen Biographien liess ich mich für Anna inspirieren, die ich auf der Karriereleiter für weibliche Hotel-Angestellte auf die höchste Sprosse klettern liess: die der Gouvernante. 

Zuerst einmal etwas zur Berufsbezeichung Gouvernante: im Deutschen kann damit eine Erzieherin oder eine Haushälterin im Hotel gemeint sein (vor allem in der Schweiz) in beiden Fällen gilt der Begriff allerdings als veraltet. Die erziehende Gouvernante kennt man aus der Literatur etwas besser, Jane Eyre und Fräulein Rottenmeyer sind berühmte literarische Gouvernanten. Die Hotel-Gouvernante wird heute zumeist als Hausdame oder Neudeutsch Executive Housekeeper bezeichnet. Das englische Housekeeper verweist deutlich auf die Funktion dieser Angestellten: das Haus zu bewahren bzw. in Ordnung zu halten. Die Hotel-Gouvernante ist eine Haushälterin im grossen Stil.

Eine umfassende Beschreibung der Funktionen und Eigenschaften einer perfekten Hotel-Gouvernante fand ich im 1908 erschienenen Guide to Hotel Housekeeping (das sich allerdings nicht mit Grand Hotels, sondern eher mittelständischen Hotels befasst). Die (gekürzte) Liste mit den verlangten Charaktereigenschaften auf S. 7 von Chiffren im Schne1 stammt aus diesem Buch, hier ist sie in voller Länge:

Must be morally correct. Must have a dignified and respectable appearance. Must have executive ability. Must have a good disposition and try to get along with the help. Must be a good listener and not a talker.Must be quiet, giving orders in a firm but low tone. Must be loyal to the management. Must be courteous to guests.

Abgesehen von den moralisierenden Untertönen hat sich das Berufsbild nicht sehr verändert. Hier zum Vergleich eine moderne Berufsbeschreibung

Gouvernanten verfügen über einen ausgezeichneten Sauberkeitssinn und sind äußerst penibel in Sachen Hygiene. Wer als Gouvernante arbeiten will, muss über ein sehr hohes Maß an Freundlichkeit verfügen und ein gepflegtes Äußeres ist Pflicht. Auch ist für diesen Beruf das Beherrschen der englischen Sprache ein Muss. Alle weiteren Fremdsprachenkenntnisse sind von Vorteil. Eine Gouvernante ist ein Organisationstalent und ist in der Lage Mitarbeiter zu motivieren und zu führen.

Anders als die erziehende Gouvernante hat es die Hotel-Gouvernante kaum zu literarischen Ehren gebracht.* Meine Kenntnisse über den Beruf und die damit verbundenen Klischees und Stereotypen stammen aus Familienerzählungen, da sowohl meine Mutter als auch meine Urgrossmutter in Hotels arbeiteten. Zudem gab es im Bereich Geschlechtergeschichte in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche Projekte, die sich mit den Erfahrungen weiblicher Haus- und Hotelangestellter befasst haben.  Der Gouvernante wurden in der "guten alten Zeit" gewisse Eigenschaften nachgesagt: Herrschsucht (betrachtet man die etymologische Wurzel der Gouvernante, das lateinische gubernare/herrschen, ist das nicht weiter überraschend), Pedanterie und Prüderie. Gouvernanten waren Frauen, die in einem Zeitalter, in dem das nicht gerne gesehen wurde, professionelle Autorität ausstrahlen mussten. Sie waren zudem oftmals Frauen, die sich der traditionellen Rolle als Ehefrau und Mutter "verweigerten", all das mag die vielen negativen Klischees, die sich um den Beruf ranken, erklären. Sicher kannten diese Frauen, die ihre Karriere oft in den unteren Rängen des Hotels begonnen hatten, all diese Stereotypen und ich habe mich oft gewundert, wie sie damit wohl umgegangen sind. Aus dieser Fragestellung erwuchsen dann manche von Annas inneren Konflikten.

* Etwas besser ergeht es da der klassischen Haushälterin, vor allem im britischen Raum. Als Hüterin der Schlüssel wird ihr in Literatur und Film gerne mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Jüngstes Beispiel ist Downton Abbeys Mrs Hughes, die oft als einzige den Überblick über alle grossen und kleinen Dramen der Herrschaft und der Dienerschaft behält. Und natürlich erfährt man in der Serie auch so einiges über die Anforderungen an den perfekten Valet, mehr davon in einem anderen Beitrag.

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