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Samstag, 28. Juni 2014

Das Attentat von Sarajevo in der Schweizer Illustrierten Zeitung (4. Juli 1914/Heft 27)


Die Schweizer Illustrierte Zeitung war eine seit 1911 bestehende unpolitische Wochenzeitschrift, die speziell auf den Schweizer Markt ausgerichtet war. Sie erschien jeweils Samstag - der zitierte Artikel erschien also sechs Tage nach dem Attentat von Sarajevo. Die Geschehnisse in Sarajevo schafften es nicht einmal auf das Titelblatt.

In Heft 27 finden sich Beiträge zum Thronwechsel in Serbien (Peter I. übergab das Szepter krankheitshalber an seinen Sohn Alexander), einem geplanten Versuch einer Atlantiküberquerung per Flugzeug, den Kulturstätten an der Bagdadbahn und zahlreiche kleinere Artikel zu Kultur, Gesellschaft und Sport. Die beiden Beiträgl zum Attentat in Sarajevo (Die Tragik im österreichischen Kaiserhauses und Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers) finden erst zu Ende des Heftes. Sie sind nicht mit den aus Geschichtsbüchern bekannten reisserischen Illustrationen bebildert, sondern nur mit Porträts der Ermordeten und ihrer Familie, des Kaisers und des neuen Thronfolgers.



Die Attentäter werden scharf verurteilt, die politischen Hintergründe der Tat bleiben unerwähnt. Wie die Liste der in den vergangenen Jahrzehnte ermordeten Staatsoberhäupter zeigt, waren politische Attentate nichts Aussergewöhnliches (tatsächlich wäre eine vollständige Liste noch viel länger ausgefallen). Die im Artikel ausgedrückte Hoffnung, das Attentat möge als Fanal für einen ehrlichen" Frieden dienen, mag naiv erscheinen, doch zwischen den Zeilen ist doch auch einiges Unbehagen vor allem in Hinblick auf die Instrumentalisierung nationalistischer Gefühle in der Politik zu spüren.  (Immerhin machte man keine Vorassagen wie der britische Guardian, in dem verkündet wurde, dass das Attentat für die politische Lage in Europa ohne Bedeutung sei.)

Diese noch blutjungen Bürschchen* sind mit ihrem Urteil über Gott und die Welt, über Staat, Recht und Gesetz in einem Alter längst fertig, wo andere erst beginnen, Erfahrungen zu sammeln. Sie sind Ankläger, Richter und Henker in einer Person, und den Ahnungslosen, dem sie nach dem Leben trachten, brauchen sie nicht anzuhören; sie halten sich für die Vollstrecker des Schicksals. (...) Durch ganz Oesterreich geht ein Zug tiefer nationaler Trauer, und alle Regierungen und Parlamente haben zu dem schrecklichen Ereignis ihr Beileid ausgesprochen. Wenn das Ziel der Attentäter das war, die Monarchie in Verwirrung zu bringen, dürfte sich bald zeigen, dass gerade das vergossene Blut, die unsinnige, durch nichts hervorgerufene Tat in Europa wie eine dringende Warnung zum Frieden empfunden werden muss. Die Fürsten und die Staatsoberhäupter der grossen Mächte wissen, dass ihnen morgen zugefügt werden kann,  was heute dem Thronfolger der Monarchie geschehen ist. Eine Bombe hat den russischen Zaren** zerschmettert, ein Dolch hat sich in die Herzgrube des Präsidenten der französischen Republik gelenkt und auch König Humbert**** von Italien verblutete sich durch das Verbrechen eines Meuchlers. Die Fürsten und die Staatsoberhäupter, die den Mord aus der Politik ausschalten wollen, müssen zum ehrlichen Frieden zurückkehren, dürfen die Balkanpest nicht weiter verschleppen lassen, können nicht fortfahren, sich der Leidenschaften in den Volksmassen für ihre Zwecke zu bedienen.

* Die beiden Attentäter Gabrinovic und Princip.
** Alexander II, 1894 von einer Bombe getötet. Der Zar hatte zuvor sechs Attentatsversuche überlebt.
*** Marie François Sadi, 1894 voh einen Anarchisten erstochen.
**** Umberto I, 1900 von einem Anarchisten erschossen.

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